Europäische Sozialpartner des Bankgewerbes verabschieden gemeinsame Erklärung zur Fernarbeit inklusive mobiler Arbeit

Brüssel/Berlin
8.12.2021
  • Ergänzung der Europäischen Grundlagenerklärungen im Bankgewerbe zur Digitalisierung und Telearbeit
  • Europäische Sozialpartner erkennen Potenzial der Fernarbeit als weitere dauerhafte Beschäftigungsform an
  • Chancen und Herausforderungen der ortsungebundenen Arbeit sollen positiv genutzt werden und Beitrag zur sozialen digitalen Transformation leisten
  • Fortsetzung des Dialogs auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene

Die europäischen Sozialpartner des Bankgewerbes haben soeben eine gemeinsame Erklärung zur Fernarbeit („remote work“ inklusive mobiler Arbeit) verabschiedet, in der sie einen chancenorientierten, positiven und pragmatischen Umgang mit dieser ortsungebundenen Arbeitsform befürworten. Die Sozialpartner erklären, dass mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen der
Fernarbeit eine neue digitale Arbeitsmethode Verbreitung findet, die Fachkompetenz mit Kreativität, sozialer Interaktion und (Arbeitszeit-)Flexibilität verbindet.

Dabei betonen die europäischen Sozialpartner, dass Fernarbeit und Arbeit am Büroarbeitsplatz arbeitsrechtlich und personalpolitisch gleichwertig sind. Bereits in ihrer gemeinsamen Erklärung zur Digitalisierung Ende 2018 hatten die europäischen Sozialpartner darauf hingewiesen, dass digitale Systeme das Potenzial haben, die administrative Arbeitsbelastung der Mitarbeiter zu reduzieren, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen und ihnen mehr Zeit und Ressourcen zu geben, um Kunden zu unterstützen und zu beraten. Die gemeinsame Erklärung zur Fernarbeit hebt nun hervor, dass auf die spezifischen Herausforderungen der Arbeitsform Fernarbeit passende Antworten gefunden werden müssen. Dazu gehörten auch die Aspekte Arbeitsmittel, Datenschutz und spezifische Gesundheits- und Arbeitssicherheitsfragen.

Die Erklärung wird auf Arbeitgeberseite getragen vom Banking Committee for European Social Affairs (BCESA), das unter dem Dach der Europäischen Bankenvereinigung EBF die Interessen des privaten Bankgewerbes vertritt, sowie den europäischen Spitzenverbänden der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken, der European Savings Banks Group (ESBG) und der European Association of Co-Operative Banks (EACB). Für die Arbeitnehmerseite war die internationale Gewerkschaft UNI an den Gesprächen beteiligt. Der AGV Banken, seit 2013 im Vorsitz des BCESA, hat die Arbeiten an der gemeinsamen Erklärung intensiv begleitet.

„Die Erklärung unterstreicht das gemeinsame Verständnis der Banken-Sozialpartner für eine zeitgemäße Gestaltung mobil-flexibler Arbeitsformen und schafft einen verlässlichen Rahmen für die konkrete Umsetzung in den Unternehmen“, sagt Dr. Jens Thau, Geschäftsführer im AGV Banken und BCESA-Chairman. Zugleich sei die Erklärung ein wichtiges Signal auch für anstehende Gespräche zu dem Thema auf internationaler Ebene: „Als Branche mit hoher Digitalisierungs-Dynamik betonen wir erneut die Chancen der Digitalisierung in all ihrer Vielfalt, ohne die Risiken auszublenden – mit dem Ziel, dass Arbeit 4.0 für alle Beteiligten Vorteile bringt.“ Damit folge auch das aktuelle Dokument dem Geist der vorherigen Erklärungen zu COVID-19, Digitalisierung und Telearbeit.

Die wichtigsten Punkte der gemeinsamen Erklärung im Überblick:

  • Definition der Fernarbeit: Die Sozialpartner verstehen unter Fernarbeit eine Form der Arbeitsorganisation, bei der ein Teil oder alle Arbeitsaufgaben – je nach Arbeitsvertrag – während vereinbarter Arbeitszeiten an einem vom Arbeitnehmer* oder Arbeitgeber gewählten/bestimmten Ort erbracht werden, mit Unterstützung und durch Nutzung von durch den Arbeitgeber bereitgestellten sicheren Geräten und Infrastrukturen zur Information und Kommunikation (IKT). Die wandelbaren Strukturen der Fernarbeit sowie die Vertragsfreiheit werden anerkannt, weshalb auch Fernarbeit unter Nutzung eigener Geräte der Beschäftigten von der Erklärung erfasst wird, sofern dies entsprechend vereinbart wird.
  • Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers über die Arbeitsorganisation: Die europäischen Sozialpartner betonen, dass die Arbeitsorganisation einschließlich der Entscheidung, bestimmte Aufgaben ausschließlich aus der Ferne ausführen zu lassen, beim Arbeitgeber verbleibt. Die Beurteilung, ob Tätigkeiten aus der Ferne ausgeführt werden können, sollte sich auf alle Tätigkeitsbereiche erstrecken.
  • Grundlage der Fernarbeit ist arbeitsvertragliche Vereinbarung: Fernarbeit kann Teil des Arbeitsvertrages und/oder des Direktions-rechts des Arbeitgebers sein. Sollte Fernarbeit im Arbeitsvertrag als freiwillig und von beiden Seiten reversibel ausgestaltet worden sein, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, das Angebot gemäß den nationalen Gesetzen und tarifvertraglichen Regelungen entweder anzunehmen oder abzulehnen.
  • Primat arbeitsrechtlicher und personalpolitischer Gleichwertigkeit von Fernarbeit und Arbeit am Büroarbeitsplatz: Die europäischen Sozialpartner sind sich darüber einig, dass für fernarbeitende Arbeitnehmer die gleichen gesetzlichen, tarifvertraglichen, betriebsverfassungsrechtlichen und arbeitsvertraglichen Rechte und Arbeitsbedingungen gelten sollen wie für Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung in den Räumen des Arbeitgebers erbringen, soweit sich nicht aus der spezifischen Beschäftigungsform Besonderheiten ergeben. Fernarbeit sollte daher nicht dazu verwendet werden, den Arbeitnehmerstatus auf Basis stabiler langfristiger Arbeitsverträge in atypische Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder freie Mitarbeit zu verändern. Der Fernmitarbeiter muss innerhalb des vom Arbeitgeber vorgegebenen oder mit dem Arbeitnehmer (auch in Tarifverträgen) vereinbarten Zeitraums verfügbar sein. Ebenso wie auf Büroarbeitsplätzen soll außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten auch für Fernmitarbeiter grundsätzlich das Recht auf Nichterreichbarkeit gelten.
  • Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter ist entscheidend: Die gemeinsame Erklärung betont die Verantwortung der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern die Bedeutung von Ausbildung und Kompetenzentwicklung zu vermitteln. Arbeitgeber sollten sich – wie bei Büroarbeitskräften – darum bemühen, dass die Schulung während der Arbeitszeit stattfindet. Schulungen für Fernmitarbeiter können inhaltlich speziell auf diese Arbeitsform bezogen sein, d.h. zu den Regeln, Pflichten und Rechten der Fernmitarbeiter, zu Zeitmanagement und -planung, E-Mail-Versand und E-Archivierung sowie zu der damit verbundenen Software und Hardware sowie des Bewusstseins für den Umgang mit einem möglichen Mangel an sozialen Kontakten, Cybersicherheits- und Cyberschutzfragen sowie Führung und Management von Fernmitarbeitern.
  • Fernarbeit als digitale Arbeitsform interessengerecht und diskriminierungsfrei umsetzen: Unbeschadet des Organisationsrechts des Arbeitgebers sollten nach Ansicht der europäischen Sozialpartner Arbeitnehmer im Betrieb die Möglichkeit haben, die Fernarbeit zu beantragen und im Fall der Ablehnung objektiv nachvollziehbare Gründe genannt bekommen. Die Möglichkeit der Fernarbeit muss diskriminierungsfrei bestehen, Vielfalt respektieren und als eine gleichwertige Arbeitsform anerkannt sein. Wenn ein Fernmitarbeiter im Büro anwesend sein muss, beispielsweise für eine Schulung oder eine erforderliche Besprechung, soll der Fernmitarbeiter rechtzeitig informiert werden, damit er seinen Arbeitstag entsprechend planen kann.
  • Gesundheitsschutz: Mitarbeiter, die aus der Ferne arbeiten, können anderen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt sein als diejenigen, die von einem regulären Büro aus arbeiten; hier sollte unter Beachtung der allgemein geltenden Arbeitsschutzvorschriften darauf geachtet werden, das Wohl aller zu gewährleisten. Fernmitarbeiter und ihre Fernarbeitsplätze unterliegen einer obligatorischen Gefährdungsbeurteilung gemäß der jeweils geltenden Gesetzgebung. Um psychosoziale Risiken im Zusammenhang mit möglichen Isolationsgefühlen zu reduzieren, sollte Fernmitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, sich regelmäßig (formell und informell) mit Kollegen zu treffen und mit ihnen zu kommunizieren sowie an Arbeitgeberveranstaltungen teilzunehmen.
  • Datenschutz und Privatsphäre: Arbeitgeber sind dafür verantwortlich, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der für gewerbliche Zwecke verwendeten und verarbeiteten Daten zu gewährleisten und angemessene Sicherheitsstandards für IT-Systeme (einschließlich Überwachungssysteme) zu schaffen, unter Wahrung der Privatsphäre der Mitarbeiter. Die Verwendung von Überwachungsmitteln muss im Einklang mit geltenden Rechtsvorschriften geschehen. Umgekehrt müssen Fernmitarbeiter für die Einhaltung der Datenschutzvorschriften des Unternehmens und der Unternehmensrichtlinien entsprechend der hierfür erhaltenen Unterweisungen eine höhere Verantwortung übernehmen, da der Arbeitgeber keinen regelmäßigen Zugriff auf den Fernarbeitsplatz hat und somit nicht kontrollieren kann, wer sonst noch Zugriff hat.
  • Algorithmische Entscheidungstechniken: Mitarbeiter haben das Recht, dass Entscheidungen, die sie rechtlich und persönlich erheblich beeinträchtigen, nicht ausschließlich auf automatisierten Variablen beruhen. So unterliegen beispielsweise Mitarbeiterprofile, Personalauswahl, interne Beförderung, Funktions- und Hierarchieebenenwechsel, Sanktionssysteme sowie Leistungsbewertungen immer dem Prinzip menschlicher Letztentscheidung („Human-in-Control“-Prinzip). Jeder Mitarbeiter hat das Recht, seinen Standpunkt zu äußern und die Entscheidung anzufechten.
  • Rechte von Gewerkschaften und Betriebsräten: Um eine faire Vertretung zu ermöglichen und um sicherzustellen, dass Gewerkschaften und Betriebsräte wirksam Kontakt halten und Fernmitarbeiter genauso organisieren können, wie es an einem physischen Arbeitsplatz möglich wäre, sollten Arbeitgeber ihnen Zugang zu den Fernmitarbeitern entsprechend der Regeln und Vorschriften gewähren, die für die Ansprache am physischen Arbeitsplatz gelten. Außerdem sollten Fernbeschäftigte die Möglichkeit haben, an Wahlen zu Arbeitnehmervertretungen teilzunehmen und für diese zu kandidieren. Unter Beachtung europäischer und nationaler Gesetze, Tarif- und Betriebsvereinbarungen informieren und beraten Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Betriebsräten über relevante Aspekte der algorithmischen Entscheidungsfindung.
  • Sozialer Dialog: Die Sozialpartner auf europäischer, nationaler und/oder betrieblicher Ebene arbeiten daran, den sozialen Dialog sowie die Verbreitung der gemeinsamen Erklärung zu fördern. Die Sozialpartner im Bankensektor überwachen den Umsetzungsprozess und werden Maßnahmen entwickeln, um Chancen und Herausforderungen auf der jeweils zuständigen Ebene am besten anzugehen.

Die europäischen Sozialpartner werden dieses umfassende Paket an gemeinsamen Bestimmungen zu modernen Arbeitsformen im Bankgewerbe in die Gespräche zu Digitalisierung im Bankensektor bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen einbringen, die vom 22. bis 28. Januar 2022 in Genf stattfinden.

Mit dem Einfluss moderner Technologien auf die Arbeit im Bankgewerbe hatten sich die europäischen Sozialpartner im Rahmen des sektoralen (branchenbezogenen) Dialogs bereits seit 1998 befasst, mündend in einer ersten Erklärung zur Beschäftigungsfähigkeit bei Einsatz neuester Informations- und Kommunikationstechnologie im Jahr 2002. Seither standen moderne Arbeitsformen immer wieder im Fokus, etwa im Dialog der ILO zur Telearbeit im Herbst 2016, bei der gemeinsamen Erklärung der europäischen Sozialpartner zur Telearbeit im November 2017 und zuletzt zur Digitalisierung im November 2018. Aufbauend hierauf und auf der jetzt unterzeichneten Erklärung zu Fernarbeit werden die europäischen Banken-Sozialpartner in Zukunft jeweils Gespräche zu einzelnen neuen digitalisierungsgetriebenen Arbeitsprozessen im Bankgewerbe aufnehmen, sobald diese greifbare Formen annehmen.

Hinweis an die Redaktionen: Die gemeinsame Erklärung steht Ihnen nachfolgend als Download zur Verfügung.

* Es wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, damit sind jedoch stets sämtliche Geschlechter (d/w/m) angesprochen.

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Dem AGV Banken gehören rund 100 Institute (Großbanken, Regionalbanken, Pfandbriefbanken, Spezialbanken, Privatbankiers und Bausparkassen) mit rund 135.000 Beschäftigten an. Der Arbeitgeberverband vertritt die sozialpolitischen Interessen seiner Mitglieder, schließt als Tarifträger auf Bundesebene Tarifverträge mit den Gewerkschaften ab, informiert und berät die Mitgliedsinstitute und vertritt sie vor Arbeits und Sozialgerichten in Grundsatzfragen. Darüber hinaus nimmt er die sozialpolitischen Belange des privaten Bankengewerbes gegenüber Regierungs- und Verwaltungsstellen wahr. Der AGV Banken unterstützt seine Mitglieder in der beruflichen Aus- und Weiterbildung und berät die zuständigen Ministerien bei der Entwicklung von einschlägigen Gesetzen und Ausbildungsordnungen.